Standpunkt von Wilfried Rickels, Christine Merk und Andreas Oschlies Eine unbequeme Wahrheit — und viele offene Fragen

Um die Ziele des Klimaschutzabkommens von Paris zu erreichen und den Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis zum Jahr 2100 im auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, reicht es nicht aus, Emissionen zu reduzieren. Wilfried Rickels und seine Kollegen vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel betonen die Notwendigkeit, der Atmosphäre CO2 zu entziehen.

Am 12. Dezember 2015 haben die 195 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) auf der UN-Klimakonferenz in Paris beschlossen, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis zum Jahr 2100 im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten auf mindestens 2 Grad zu begrenzen. Idealerweise soll der Temperaturanstieg sogar nur 1,5 Grad betragen. Inwieweit die infolge von Paris angekündigten nationalen Emissionsreduktionen diesen Zielen gerecht werden, lässt sich auf Webseiten wie Climate Action Tracker oder Climate Scoreboard nachvollziehen. Hier stellen Wissenschaftler dar, wie sich die geplanten Emissionsreduktionen auf den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auswirken würden.

Die Berechnungen zeigen, dass selbst für den Fall, dass die angekündigten Emissionsreduktionen um- und fortgesetzt würden (Deutschland wird z.B. seine für 2020 gesetzten Ziele nicht erreichen), der mittlere Temperaturanstieg mit etwa 3-3,5 Grad aber deutlich über den in Paris beschlossenen Zielen liegen würde. Die Treibhausgasemissionen müssen also deutlich stärker und schneller sinken als  derzeit vorgesehen. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Treibhausgasemissionen müssen nicht nur möglichst schnell auf null sinken, sie müssen sogar negativ werden. Das bedeutet, wir benötigen zusätzlich zu den Emissionsreduktionen Methoden und Technologien, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen.

Veranschaulichen lässt sich die Größe der Herausforderungen bei Betrachtung der Emissionsbudgets. Auf der Webseite des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change kann man sehen, wie groß die verbleibenden CO2-Budgets für das 1,5 Grad und das 2 Grad-Ziel sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit das Ziel jeweils eingehalten werden würde. Soll das 2-Grad-Ziel mit 66 Prozent Wahrscheinlichkeit erreicht werden, dürfen noch 715 Gt CO2 emittiert werden. Bleiben unsere derzeitigen jährlichen CO2 Emissionen unverändert, ist dieses Budget bereits zum Ende des Jahres 2035 vollständig aufgebraucht.

Emissionsszenarien des Weltklimarats

Den Berechnungen liegen Simulationen und Emissionsszenarien des Weltklimarats (IPCC) zugrunde. Abbildung 1 zeigt die möglichen Entwicklungen der Temperatur in Abhängigkeit der zukünftigen jährlichen CO2-Emissionen für die vier Hauptszenarien. Die vier Szenarien (Representative Concentration Pathways, RCPs) wurden für den fünften Sachstandsbericht definiert und bilden eine wichtige Grundlage für die Simulationen der zukünftigen Entwicklung des Klimas. Aufgrund von Unsicherheiten in Modellen können verschiedene Emissionspfade zum gleichen Temperaturanstieg führen, entsprechend sind verschiedene Emissionsszenarien zu Gruppen zusammengefasst, die dann einer Spannweite für die zu erwartende Temperatur im Jahr 2100 zugeordnet sind. Die Abbildung zeigt, dass fast nur die Emissionsprojektionen für das RPC2.6 Szenario erwarten lassen, dass sich der Temperaturanstieg im Mittel auf unter 2 Grad begrenzen ließe und damit das Pariser Klimaziel erreicht würde.

Abbildung 1 IPCC Szenarien (Quelle: Global Carbon Project (2017) Carbon budget and trends 2017)

Eine unbequeme Wahrheit

Das RCP2.6 Szenario unterstellt sehr ambitionierte globale Emissionsvermeidung im Energie- und Verkehrssektor, in der Industrie, in der Landwirtschaft und darüber hinaus eine nachhaltige Veränderungen des Lebensstils der Menschen. Aber selbst unter diesem optimistischen Emissionsszenario wären in dieser Modellrechnung ab dem Jahr 2070 netto negative Emissionen notwendig, um das 2-Grad-Ziel wahrscheinlich einzuhalten. Das bedeutet, wenn wir den Anstieg der globalen Mitteltemperatur tatsächlich auf unter 2 Grad begrenzen wollen, müssen wir akzeptieren, dass wir zusätzlich zu einer deutlichen Reduktion unser derzeitigen Emissionen Möglichkeiten benötigen, um der Atmosphäre netto CO2 zu entziehen. Das heißt, dass nicht nur die vermutlich kaum vermeidbaren Treibhausgasemissionen aus Landwirtschaft, einigen Industriezweigen und Flug- und Schiffsverkehr durch gleichzeitige CO2-Entnahme kompensiert werden müssten, sondern dass darüber hinaus noch weiteres CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden müsste.

Wie viel CO2 wir der Atmosphäre entziehen müssen, hängt davon ab, wie sich unsere zukünftigen Emissionen entwickeln. Die schwarze Linie in Abbildung 1 zeigt, dass der tatsächliche Ausstoß bis 2016 eher dem Szenario RCP8.5 folgt als dem RCP2.6-Pfad, der bereits vor dem Jahr 2020 abflacht und dann sinkt. Je länger aber die tatsächlichen Emissionen auf diesem Pfad bleiben, desto steiler müssen sie in der Zukunft fallen und desto mehr negative Emissionen benötigen wir, um unsere derzeitigen Versäumnisse zu kompensieren.

Können wir negative Emissionen in dem benötigen Umfang realisieren?

Dem erwarteten Bedarf an negativen Emissionen steht bislang ein sehr unsicheres Angebot gegenüber, denn die verschiedenen Methoden und Ansätze für negative Emissionen sind bislang weder hinreichend erforscht noch bewertet. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei Ansätzen zu negativen Emissionstechnologien um Analogien zu natürlichen Vorgängen, in denen CO2 durch physikalische, chemische oder biologische Prozesse der Atmosphäre entzogen wird. So wird diskutiert, durch großflächige Aufforstung oder den Anbau von Energiepflanzen der Atmosphäre biologisch CO2 zu entziehen, optional in Kombination mit der Erzeugung von elektrischer Energie durch Biomasseverstromung und der Abscheidung und unterirdischen Lagerung von CO2, genannt Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS). Die Biomasse müsste nicht zwingend an Land angebaut werden, sondern könnte auch im Meer zum Beispiel durch Algenplantagen entstehen. Der Atmosphäre könnte auch CO2 entzogen werden, indem man das Wachstum von Biomasse im offenen Ozean zum Beispiel durch die Düngung mit Eisen anregt. Sinkt diese zusätzliche Biomasse auf den Meeresgrund, gelangt das darin gebundene CO2 langfristig auch nicht mehr zurück in die Atmosphäre. Chemisch kann man CO2 aus der Atmosphäre CO2 entfernen, indem man natürliche Verwitterungsprozesse beschleunigt und kleingemahlenes Gesteinsmehl, vorzugsweise aus Silikatgestein entweder an Land oder im Ozean ausbringt. Alternativ könnte man beim sogenannten Air Capture große Mengen Luft durch Filteranlagen leiten und ähnlich wie bei Luftaufbereitungsanlagen in U-Booten oder Raumfähren einen Teil des enthaltenen CO2 an Sorptionsmittel binden. Wie bei der Biomasseverstromung müsste auch hier das gebundene CO2 langfristig geologisch eingelagert oder unter Verwendung erneuerbarer Energien in flüssige Kohlenwasserstoffe umgewandelt werden. Abbildung 2 Methoden zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (Quelle: Rickels et al. 2011)

Alle diese Verfahren haben gemeinsam, dass sie bereits in kleinerem oder größerem Umfang getestet oder sogar angewendet werden. Aufforstungsprojekte zum Beispiel werden schon jetzt für Emissionsgutschriften eingesetzt. Inwieweit sich diese verschiedenen Methoden aber in großem Umfang einsetzen lassen, um der Atmosphäre tatsächlich signifikante Mengen CO2 zu entziehen, ist noch unklar. Gerade bei den chemischen Maßnahmen kommt es zu einem hohen Energiebedarf, etwa für zum Beispiel das Abtragen und Zerkleinern der Mineralien oder das Betreiben der Air-Capture-Anlagen. Bei Eingriffen in die unzureichend verstandenen biologischen Kreisläufe ergeben sich zahlreiche Wechselwirkungen, Rückkopplungseffekte und möglicherweise Nebenwirkungen mit denen noch keiner rechnet. So ist bei der Aufforstung zu berücksichtigen, dass relative dunkle Waldfläche die globale Albedo verringert und damit trotz der zusätzlichen Aufnahme von CO2 sogar erwärmend wirken kann. Grundsätzlich müssen die verschiedenen Nebenwirkungen aber nicht nur negativ sein. So können sich Ozeandüngung und Kohlenstoffbindung in großen marinen Wirbeltieren wie Walen wechselseitig positiv beeinflussen. Genauso kann es aber zu negativen Auswirkungen auf die Biodiversität und einer Ausweitung von Sauerstoffminimumzonen im Ozean kommen.

Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekte sind nicht auf die lokale Umgebung beschränkt. Großflächige Aufforstung bedürfte riesiger Landflächen, sowie großer Mengen Wasser und Nährstoffe, die dann nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung ständen und weltweite Verschiebungen im Nahrungsmittelangebot, aber auch im Wasserkreislauf verursachen könnten. Bei der Bewertung der Auswirkungen von Aufforstung auf Land- und Nahrungsmittelpreise müssten daher sowohl wirtschaftliche als auch ethische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Wichtig für die Betrachtung ist, dass für die Entfernung von signifikanten Mengen CO2 aus der Atmosphäre – es geht um einige Milliarden Tonnen pro Jahr – sehr große Eingriffe nötig sind, z.B. viele Milliarden neue Bäume oder das Zerkleinern und die chemische Verwitterung von ganzen Bergen pro Jahr.

Wer soll die negativen Emissionen realisieren?

Negative Emissionen können unabhängig vom Ort der ursprünglichen CO2-Emissionsquelle realisiert werden. Das heißt, wenn in den Vereinigten Staaten CO2 emittiert wird, kann in Europa dieses CO2 wieder aus der Atmosphäre entnommen werden, und umgekehrt. Daher kommt negativen Emissionen insbesondere in global nicht-koordinierten Klimapolitiken eine besondere Rolle zu, erlauben sie es doch Staaten auch ohne ein umfassendes Klimaabkommen den Klimawandel nachhaltig zu begrenzen. Hier können Staaten für andere Staaten die Sühne übernehmen, indem sie deren Klimaschuld mit negativen Emissionen begleichen. Bislang haben nur zwei Staaten das Pariser Klimaabkommen nicht ratifiziert, Syrien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Gerade die Vereinigten Staaten tragen mit ihren jährlichen Emissionen von 5.4 Gt CO2 (im Jahr 2015) aber entscheidend zum Klimawandel bei. Beteiligen sich die USA nicht an der Verminderung der Treibhausgasemissionen, müssen die anderen Ländern umso mehr für den Klimaschutz tun.

Aber auch bei den Ländern, die das Pariser Klimaschutzabkommen ratifiziert haben, ist noch unklar in welchem Umfang sie zu den notwendigen Emissionsreduktionen beitragen wollen. Mittlerweile hat zwar China die USA als größten jährlichen CO2-Emittenten abgelöst, im Hinblick auf die kumulativen bzw. historischen CO2-Emissionen liegt China aber bislang immer noch „nur“ auf dem dritten Rang, hinter den USA und Europa. Entsprechend könnte man argumentieren, dass vor dem Hintergrund der Klimagerechtigkeit Staaten mit hohen historischen Emissionen einen Teil des CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholen sollten, um das verbleibende Emissionsbudget auszuweiten und anderen Ländern ihren Anteil am Emissionsbudget zuzugestehen.

Diese Überlegungen zeigen die besondere Rolle negativer Emissionen in der aktuellen Klimapolitik. Eben gerade dann, wenn es nicht zu einer global abgestimmten Klimapolitik kommt, könnten negative Emissionen dazu beitragen, dass eine Koalition der Klimaschutzwilligen nicht zerbricht. Gleichzeitig kann das aber auch falsche Anreize setzen. Wenn Staaten mit starkem Interesse an der Begrenzung des Klimawandels Maßnahmen zur Realisierung negativer Emissionen einsetzen, warum sollten dann andere Staaten aufwendig versuchen, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren?

Wollen wir den Einsatz negativer Emissionen überhaupt?

Ergebnisse aus repräsentativen Studien in Deutschland zeigen, dass die Zustimmung zum Einsatz großflächiger Aufforstung mit 79% hoch ist, während nur eine knappe Mehrheit von 51% die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) akzeptieren würden (siehe Abbildung 3). BECCS, das Elemente beider Maßnahmen enthält, liegt auch bei der Akzeptanz zwischen den beiden. Hier ist der Anteil derer, die nicht wissen, ob sie einem Einsatz zustimmen würden, mit 23% am höchsten. Diese Ergebnisse zeigen, dass Menschen positive Assoziationen mit vermeintlich grünen Lösungen wie einer großflächigen Aufforstung der Sahara und des australischen Hinterlandes haben; dabei ignorieren sie sowohl die massiven Nebeneffekte auf diese Ökosysteme als auch die relative Wirkungslosigkeit gegen den Klimawandel. Technisch wirkende Maßnahmen, wie die Düngung des Ozeans, werden generell eher negativ wahrgenommen. Im Fall von CCS hat die Ablehnung der Technologie in der Bevölkerung immer wieder zu Protesten gegen Pilotprojekte geführt. In Deutschlang gibt es als Folge dieser Proteste derzeit keine Versuche oder Vorhaben zur Abscheidung und Speicherung von CO2.

Abbildung 3: Akzeptanz des Einsatzes (Quelle: Eigene Darstellung nach Braun et al. 2017 und Merk et al 2018)

Fazit

Noch ist unklar, ob und wenn ja, welche Länder in welchem Umfang welche Methoden zu Realisierung negativer Emissionen anwenden könnten oder müssten und wie die Bevölkerung in den Ländern auf solche Maßnahmen reagieren würde. Dabei wird die Effektivität und Effizienz der verschiedenen Methoden am Ende nicht nur durch naturwissenschaftliche Parameter bestimmt, sondern ebenso durch die Einbindung in sowie ihre Auswirkungen auf nationale und internationale Klimapolitiken und –verhandlungen. Es gibt zahlreiche naturwissenschaftliche, ökonomische und gesellschaftliche Bedenken, die bei der Anwendung von negativen Emissionstechnologien zu berücksichtigen wären. Gibt man diesen Bedenken nach, muss man sich aber ehrlicherweise auch vom Ziel, den Temperaturanstieg auf 2 Grad zu begrenzen, verabschieden. Alleine mit der Reduzierung von Treibhausgasen ist dies praktisch nicht mehr erreichbar.

Wilfried Rickels ist einer der beiden Leitenden des Forschungsbereiches „Umwelt und Natürliche Ressourcen“ am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Christine Merk arbeitet in diesem Forschungsbereich und erforscht insbesondere die öffentliche Wahrnehmung und Risikobewertung neuer Technologien. Andreas Oschlies leitet die Forschungseinheit „Biogeochemische Modellierung“ am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Alle drei untersuchen gemeinsam im Schwerpunktprogramm (SPP 1689) der Deutschen Forschungsgemeinschaft Risiken und Auswirkungen des sogenannten „Climate Engineering“.